Als 2016 Darkest Dungeon erschien, war es wie ein Donnerschlag in der Indie-Szene. Red Hook Studios, damals ein kleines Team, erschuf mit einer Mischung aus düsterer Comic-Ästhetik, roguelike Strenge und nervenzerrendem Stress-Management einen Überraschungserfolg. Das Spiel wurde zum Kult, gerade weil es nicht jedem gefallen wollte: Es war gnadenlos, frustrierend, oft grausam – und dennoch faszinierend.
Mit Darkest Dungeon II standen die Entwickler vor der schwierigen Aufgabe: Mehr vom Alten oder etwas Neues wagen? Das Ergebnis ist ein mutiger Mittelweg. Man erkennt sofort die DNA des Vorgängers, doch Red Hook Studios hat sich nicht darauf beschränkt, die alte Formel bloß weiterzukochen. Stattdessen haben sie frische Systeme eingeführt, die sich harmonisch ins Gesamtbild einfügen – ohne den berüchtigten „Darkest Dungeon“-Biss zu verlieren.
Von Fackeln, Pferden und Hoffnung – die Reise beginnt
Die wohl auffälligste Neuerung ist die Kutsche. Statt wie im ersten Teil Dungeon für Dungeon abzuklappern, fährt man nun mit einer knarrenden Postkutsche durch eine zerfallene Welt. Theoretisch eine spannende Idee: Der Wagen rollt über staubige Pfade, vorbei an Ruinen und brennenden Feldern, während am Horizont Berge wie bedrohliche Zähne aufragen. Praktisch allerdings wirkt die Steuerung hakelig, fast so, als hätte man die Räder im Schlamm stecken lassen. Die Fahrt an sich hätte das Spiel nicht gebraucht – doch die Ereignisse entlang des Weges sind die wahren Höhepunkte.

Hier warten Entscheidungen: Hilfsbedürftige Bauern bitten um Brot, eine Truppe Überlebender liegt verwundet am Straßenrand. Hilft man, oder raubt man sie aus? Das Spannende: Nicht nur die Spielerin, der Spieler entscheidet – auch die Helden mischen mit. Der Plünderer möchte vielleicht sofort die Taschen der Bedürftigen leeren, während die Vestalin angewidert protestiert. Folgen auf solche Konflikte Spannungen, kann das Vertrauen innerhalb der Gruppe bröckeln. Und bröckelndes Vertrauen ist gefährlicher als jeder Mutant oder Kultist, der sich einem in den Weg stellt.

Personalisiert wird die Geschichte also durch den Spielenden selbst, durch kleine Dialoge, durch Charakter-Quests und den Fortschritt.
Ein Blick in den Kampf
Im Kern bleibt das Kampfsystem vertraut: Links die Helden, rechts die Feinde. Vier Positionen bestimmen, wer was tun kann. Den kräftigen „Tank“ schiebt man in die erste Reihe, wo er Schläge einsteckt und Feinde mit schweren Attacken bedrängt. Dahinter der Heiler, die Vestalin, die ihre Mitstreiter mit Gebeten und Zaubern am Leben hält. Ein Ranger positioniert sich am besten weiter hinten, wo er mit gezielten Schüssen die gegnerische Linie stört. Und die Jägerin? Sie findet ihren Platz irgendwo dazwischen: nah genug, um ihre Giftpfeile zu verschießen, aber nicht zu weit vorn, um nicht selbst unterzugehen. Und das sind nur ein paar Beispielklassen. Je tiefer man in das Spiel eintaucht, desto mehr Charaktere spielt man frei – und neue Strategien und Taktiken entstehen.

Hier entfaltet sich der Reiz von Darkest Dungeon II: Jeder Angriff hat eine Reichweite, jede Fähigkeit funktioniert nur in bestimmten Positionen. Buffs und Debuffs sind entscheidend – ein Giftpfeil schwächt, eine Betäubung öffnet die Lücke, der Tank zertrümmert die Verteidigung, während der Heiler das Team zusammenflickt. Besonders das neue Kombo-System begeistert: Ein Held markiert einen Feind, ein anderer nutzt die Schwäche – und schon entsteht eine brutale Synergie, die den Bildschirm mit Blut und Rauch füllt.
Beziehungen am Abgrund
Was im ersten Teil das Stress-System war, ist hier das Beziehungsgeflecht zwischen den Helden. Wer oft nebeneinander kämpft, entwickelt Vertrauen – oder Abneigung. Der Bandit, der ständig ungestüm nach vorne prescht, nervt die geduldige Heilerin. Der Heiler wiederum wird missmutig, wenn er das Gefühl hat, die anderen riskieren sein Leben. Spannungen eskalieren schnell: Plötzlich weigert sich ein Held, einen Heilzauber auf den verhassten Mitstreiter zu wirken, oder wirft eine schnippische Bemerkung ins Gefecht, die die Moral des ganzen Teams senkt.

Das Schöne – oder vielmehr Bittere – daran: Jede Spielerin, jeder Spieler schreibt so seine eigene Tragödie. Selten geht ein Run so aus, wie man ihn geplant hat. Häufig endet er in Chaos, Wut und Untergang. Aber genau das ist der Reiz.
Rast im „Inn“
Am Ende jedes Abschnitts erreicht man ein Wirtshaus, das „Inn“. Hier verschnauft die Truppe, heilt Wunden, gönnt sich ein Getränk oder streitet weiter am Tisch. Das „Inn“ ist wie eine Oase in der Wüste – man freut sich, wieder „einzukehren“, nur um direkt wieder hinausgeschickt zu werden.
Fortschritt jenseits des Runs
Wie schon im ersten Teil lebt Darkest Dungeon II davon, dass man nicht sofort erfolgreich ist. Die ersten Runs enden meist im Scheitern – und auch der zweite und dritte Versuch bringen selten das ersehnte Ziel. Doch anders als beim Vorgänger bleibt der Fortschritt bestehen: Neue Items, verbesserte Skills, zusätzliche Klassen. Man spürt, dass man Schritt für Schritt besser wird, selbst wenn die Dunkelheit immer noch alles verschlingt.
Der neue „Kingdom“-Modus
Mit Updates haben die Entwickler außerdem den „Kingdom“-Modus eingeführt. Hier verlässt man die lineare Kutschenfahrt und baut stattdessen ein kleines Reich wieder auf. Ressourcenmanagement, Verteidigungen, Versorgung – es entsteht fast ein Strategiespiel im Spiel. Man kämpft nicht nur ums nackte Überleben, sondern versucht, eine Zivilisation im Schatten der Apokalypse wiederzuerheben. Der Ton bleibt düster, doch die Perspektive erweitert sich. Plötzlich geht es nicht nur um das Schicksal einer kleinen Gruppe, sondern um das einer ganzen Gemeinschaft.

Fazit
Darkest Dungeon II ist kein Spiel, das man an einem Wochenende durchspielt. Es ist eine zermürbende, düstere Reise voller kleiner Tragödien, die zum Wiederspielen einlädt. Jede Partie erzählt ihre eigene Geschichte von Vertrauen, Verrat und Verzweiflung. Die Kutsche mag etwas sperrig sein, doch die Kämpfe, die Charakterinteraktionen und die Progression machen süchtig.
Red Hook Studios ist das Kunststück gelungen, die Qualitäten des ersten Teils zu bewahren und dennoch genug frische Ideen einzustreuen. Mit dem „Kingdom“-Modus wächst das Spiel sogar noch über sich hinaus. Darkest Dungeon II ist ein würdiger Nachfolger – und eine Einladung, immer wieder in die Dunkelheit zurückzukehren.