Horrorspiele sind eine Kunst für sich. Einige neigen dazu, in exzessives Blutvergießen abzudriften, während echte erzählerische Tiefe oft zu kurz kommt. Um es vorwegzunehmen: Karma: The Dark World schlägt nicht in diese Kerbe.
Ein Horror-Krimi mit künstlerischem Tiefgang
In Karma schlüpfst du in die Rolle von Daniel McGovern, einem Ermittler des Gedankenbüros in einer alternativen Zeitlinie in den 1970er Jahren. Diese Behörde besitzt die Möglichkeit, Verdächtige zu verhören, indem sie in deren Gedanken eindringt. Das verdankt sie einer Entdeckung aus früheren Zeiten, die aber ebenfalls Teil der Ermittlung wird.

Dein erster Fall scheint einfach: Jemand hat geheimes Firmenmaterial gestohlen und weitergegeben. Der Verdächtige, Sean, wurde bereits gefasst. Deine Aufgabe: In seine Gedanken eintauchen und herausfinden, was wirklich geschehen ist.
Simpel.
Doch dieser Eindruck hält nur so lange an, bis du am Gedanken-Tatort eintriffst. Plötzlich entgleitet die Kontrolle: Blutspuren, ein unheimliches Wesen und immer mehr Hinweise führen dich in eine düstere Geschichte, die erst im letzten Kapitel des letzten Aktes vollständig entschlüsselt wird. Schritt für Schritt tastest du dich durch Verhöre und entdeckst nicht nur die Wahrheit über Sean – sondern auch über dich selbst.
Karma ist kein klassisches Zombie-Spiel, noch geht es hier um simple Monster. Stattdessen verzichtet es komplett auf exzessiven Waffeneinsatz und setzt auf echten Horror.
Ermittlungen in den Tiefen des menschlichen Verstandes
Falls du beunruhigt bist, dass ein Spiel ohne Waffen langweilig sein könnte, keine Sorge. Karma versteht es, deine Ängste auf ganz eigene Weise zu triggern.
Du bewegst dich durch die Gedankenwelten der Verdächtigen und erlebst die Geschehnisse aus deren Perspektive. Da Erinnerungen oft lückenhaft sind, erscheinen die Räume verzerrt: Wände verformen sich, wenn jemand Angst hatte, und einst harmlose Orte verwandeln sich in albtraumhafte Labyrinthe. Anfangs wirkt alles noch harmlos, doch nach und nach verlierst du jegliches Sicherheitsgefühl.

Deine Aufgabe ist es, Hinweise zu sammeln, Schreibtische zu durchsuchen und Passwörter zu entschlüsseln. Das Spiel gibt dir die Freiheit, Rätsel eigenständig zu lösen, anstatt dir vorschnell die Antworten zu liefern. Ein Beispiel: Um ein Passwort herauszufinden, kannst du entweder eine Notiz mit dem Geburtstag der betreffenden Person finden oder eine Audio-Aufzeichnung anhören, die den gestrigen Geburtstag erwähnt. Karma bietet meist mehrere Lösungswege. Des Rätsels Lösung kann aber nicht mal eben erraten werden, es bedarf einer gründlichen Untersuchung der Umgebung.

Mit zunehmender Spieldauer von etwa sechs Stunden werden die Rätsel komplexer, bleiben aber stets fair. Aufmerksames Erkunden und logisches Denken genügen, um weiterzukommen. Das Spiel verzichtet bewusst auf Questmarker – stattdessen musst du selbst kombinieren, beispielsweise wenn ein Namensschild auf einem Schreibtisch fehlt und der entsprechende Mitarbeiter nicht auffindbar ist.
Ununterbrochener Nervenkitzel
„Hart“ bedeutet hier nicht „schwer“ – Karma lebt von der Angst und der Erkundung. Zwar gibt es einige Passagen, in denen du fliehen oder dich wehren musst, doch diese sind klar von den Ermittlungsphasen getrennt. Du wirst nie unerwartet in ein hektisches Action-Szenario gestoßen.
Doch was bedeutet Horror in Karma?
Du bewegst dich durch die Erinnerungen der Verhörten, und obwohl dein physischer Körper sicher ist, vermittelt das Spiel das Gefühl ständiger Bedrohung. Jeder Raum erzählt seine eigene Geschichte – nicht durch NPCs, sondern durch seine Details. Ein Chaos aus umgestoßenen Stühlen, Blutflecken, zurückgelassene Gegenstände: All das lässt dich erahnen, was geschehen sein könnte. Manchmal folgst du harmlose Spuren, wie dem Lippenstift auf einem Schreibtisch, manchmal leiten dich unheilvolle Geräusche in etwas weit Schlimmeres. Dabei sind es häufig harmlose Gegenstände, wie etwa ein Lippenstift, ein Fernseher oder ein Telefon, die dich in ganz besondere Abgründe führen.
Karma sagt dir genau, wann du Angst haben musst – und wenn es soweit ist, endet es oft tödlich. Doch die Checkpoints sind fair gesetzt, sogar in Bosskämpfen. Bestehen diese aus mehreren Phasen, erhältst du sogar pro Phase einen Checkpoint. Sterben ist furchteinflößend, aber nie frustrierend. Und nein, du wirst dich nicht dauerhaft vor Bossen und Gegner verstecken müssen. Zwar nutzt das Spiel an manchen Stellen auch Stealth als Mechanik, doch wird dir das an entsprechender Stelle verdeutlicht. Du weißt, wann du relativ frei ermitteln kannst und wann nicht.
Der einzige Kritikpunkt, den ich habe: Das Türenöffnen soll eigentlich sehr intuitiv sein. Man drückt R2 und zieht die Tür auf oder zu. Immer dann, wenn die Tür zu einem hin geöffnet wird, hatte ich durch die eigentlich fantastische First Person-Ansicht Probleme zu erkennen, wann mein Charakter im Weg stand. Ja, ständig stand mein eigens gesteuerter Charakter im Weg beim Türen öffnen. Das ist ein kleiner Kritikpunkt und höchstwahrscheinlich wird es wenige betreffen, erwähnen wollte ich es aber mal.
Schönheit in Horrorform
Auf einer Standard PS5 läuft das Spiel butterweich und sieht dabei auch noch so unverschämt gut aus. Neben den künstlerisch gestalteten Räumen, dem unverkennbar ikonischen Setting, das viel zu selten genutzt wird und dem hohen Grad an Detailverliebtheit, wirst du nicht umhinkommen, dir alles genau ansehen zu wollen.
Das Schlimme daran? Die Entwickler:innen verstehen sich darauf, den Schrecken in seiner Schönheit zu verbergen. Wenn etwas so beängstigend, aber gleichzeitig auch schön ist, es schwer, nicht hinsehen zu wollen. Zudem gibt es einige grandiose Zwischenschnitte, von denen ich trotz minimalen Spoiler an dieser Stelle eins zeigen möchte, da es so stark wirkt und rein gar nichts von der Story verrät:

Fazit: Ein Meisterwerk des psychologischen Horrors
Nach dem Durchspielen bleibt der Wunsch nach mehr. Karma: The Dark World ist immersiv, erbarmungslos und brillant inszeniert. Es setzt nicht auf plumpen Body Horror, sondern auf tiefgreifende Ängste und eine packende Geschichte. Mit seinen cleveren Rätseln, der beklemmenden Atmosphäre und einem unverbrauchten Setting liefert es ein einzigartiges Horror-Erlebnis, das lange nachwirkt.
