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The Chant (PS5) im Test

The Chant (PS5) im Test

Horrorspiele sind spätestens seit Halloween wieder häufiger auf dem Markt vertreten. Ob es sich nun um ein DLC zum allseits beliebten Resident Evil handelt oder die Vorfreude auf Dead Space, es gibt noch einen weiteren Titel, der unseren Puls höher schlagen lässt: The Chant. Singsänge sollen nicht gruselig sein? Oh doch!

In The Chant schlüpfen wir in die Rolle von Jessica Briars. Auf den ersten Blick scheint sie ganz normal zu sein, mal abgesehen von einem leichten Trauma. Um mit ihrer Vergangenheit ins Reine zu kommen, nimmt sie die Einladung einer Freundin an und versucht sich auf Glory Island auf etwas anderes einzulassen: Gruppentherapie. Zu Beginn ist alles friedlich, dann kommen die ersten Zweifel auf (zum Thema Sekte) und dann … ja, dann wird es richtig spannend, aber das wäre leider ein Spoiler. Sagen wir einfach mal, dass die Gruppentherapie schiefläuft und infolgedessen die Vergangenheit der Patient*innen aufgearbeitet werden muss, was man minder und mal mehr Horror mit sich bringt.

Um es so spoilerfrei wie möglich zu formulieren: Die Reise beginnt relativ seicht – zumindest Story technisch. Einen erhöhten Puls hat man schon in den ersten Spielminuten. Das Spiel schafft es allerdings, dem Spieler oder der Spielerin gewisse Zweifel zu vermitteln. Von Anfang an glaubt man nicht an die Fassade, an die schöne heile Welt, die einem präsentiert wird. Man schaut schnell in jede Ecke, spricht mit jedem, einfach nur, um mehr herauszufinden. Geht es hier wirklich um eine Sekte? Was hat es mit Ritualen auf sich?

Es gibt zwar ein Questsystem, um einen auf die richtige Spur zu bringen, aber es ist so fesselnd, so deduktiv, dass man auch mal selbstständig auf Erkundung geht. Sich eigene Gedanken machen, an den Aussagen der NPCs zweifeln und wissen wollen, was vorgefallen ist und wie es weitergeht, ist einer der größten Stärken des Spiels. Man kennt solche Gefühle eher aus Filmen, wie beispielsweise auch bei Glass Onion, auch wenn es dort weniger um psychedelischen Horror geht. Aber The Chant weiß genau dieses Gefühl zu vermitteln und es sowohl cineastisch aufzuarbeiten als auch Gameplay technisch zu untermalen. Schön ist auch, wie es einen immer wieder mit Wendungen überrascht, sodass man nicht von Minute 1 auf das Ende schließen kann.

Man wird schnell von der Story gefesselt und möchte wissen, was nun endlich vor sich geht, wie man es möglicherweise bekämpfen kann. Und das Schöne daran ist, dass es nicht um Zombies geht, die man reihenweise ausschalten muss.

Und dann kommt da noch das erstaunlich gute Horror-Gameplay. Zu Beginn glaubt man, es sei das typische Horrorspiel: Sachen untersuchen, Jump Scares und zu guter Letzt Waffe zücken und dem Spuk ein Ende bereiten. Hier ist es nicht ganz so linear. Ja, man untersucht Gebiete, spricht mit Personen, erhält Quests. Auf der anderen Seite, lernt man wegzulaufen, in den Nahkampf zu gehen und auf seine 3 Werte zu achten. Nur Lebensenergie und Ausdauer wäre den Entwickler*innen zu billig gewesen. Diese haben sich direkt ein psychedelisches Machwerk ausgedacht, damit man auch noch den Geisteszustand achten muss und die einzelnen Werte mit besonderen Pflanzen wiederherstellen muss. Stichwort Crafting. Ist aber nicht besonders, sondern so, wie in allen anderen Spielen auch.

Es fühlt sich allerdings alles um eine Ecke authentischer an, wenn man Lavendel in einem Wald sucht und nicht etwa ein Heilfläschchen zu sich nimmt.

Das Zusammenspiel aus den einzelnen Werten wurde ebenfalls bedacht und so lernt man schnell, auf alle drei zu achten, BEVOR sie sich negativ auf das Weiterkommen auswirken könnten.

Kennt ihr diesen Moment in einem Videospiel, wenn ihr eine Waffe in der Hand haltet, ein Gegner auf euch zukommt, und ihr einfach nur denkt: „Dann lauf doch weg. Wer würde sich dem entgegenstellen wollen, wenn da so viel Platz zum Weglaufen ist?“

Auch hierfür gibt es im Spiel eine Lösung: einfach weglaufen, wenn einem danach ist. Dabei ist Weglaufen ein recht wichtiger Part im Spiel. Man kann sich zwar wehren, vor allem ab Mitte des Spiels, aber teilweise ist es doch so gruselig aufgearbeitet, dass man einfach wegrennen möchte. Und wir sprechen nicht von billigen Jump Scares, wobei ein paar besser gelungen sind als andere, sondern von Musik, Leveldesign und die daraus resultierende Atmosphäre.

Und da wir schon bei der Atmosphäre sind: Rein von den Umgebungen kann sich das Spiel wirklich sehen lassen. Die Gebiete sehen einfach gut aus. Zwar sind die meisten Gebiete in einem Open Schlauch angesiedelt, doch das tut der Atmosphäre nichts ab, immerhin ist es noch gruseliger beim Weglaufen, wenn man eben nur einen schmalen Weg hat. Und je nachdem, welche Quests einem in einem Gebiet erwarten, sind die Gebiete auch mal größer oder kleiner. Man merkt, dass hier auch auf das Gameplay geachtet wurde.

Eher lustig hingegen ist die Angst der Protagonistin vor Fliegen. Ja, das wird später noch aufgeschlüsselt und macht auch Sinn, aber zu Beginn wirkt es vor allem als Tutorial-Grundlage etwas daneben. Aber wie gesagt, auch hier muss man dem Spiel etwas Zeit geben.

Besonders gut zur Geltung kommen aber die Dialoge und auch, wie diese von den Synchronsprecher*innen rübergebracht werden. Da stört es auch nicht, dass die Gesichter etwas plastisch aussehen und die Animationen nicht ganz so aufpoliert wurden, wie man es aus Budget trächtigen Triple A Produktionen kennt. Das Gesamtbild zählt – und genau dieses ist sehr gut. Man könnte jetzt noch meckern, dass mit sehr vielen Vorurteilen gearbeitet wurde und den Charakteren etwas Tiefe fehlt. Und gerade da diese ab Spielstunde 2 besonders wichtig werden, ist es etwas schade, dass man das Gefühl hat, diese sofort zu kennen bzw. ihre emotionale Schieflage nicht so wirklich ernst nehmen kann. Aber dennoch: Es fühlt sich authentisch an, dass sie eben nicht die schlimmsten Probleme haben, sondern alltägliche, wie man sie aus dem amerikanischen TV kennt.

The Chant ist also ein Horrorspiel, der etwas anderen Art. Es lockt nicht mit Waffen, sondern mit monströs aufgepeppten Alltagsproblemen und einem authentischen Setting, mit einer Story, die einen schnell in den Bann zieht und Wendungen, die wirklich gelungen sind. Es spricht unser deduktives Selbst an und weiß bis zum Ende zu fesseln. Es hat seine Makel, vor allem in der Charaktertiefe, aber weiß diese mit der Darstellung auszugleichen. Es ist eine Art Action Adventure, es ist eine Art Horror und es ist ein Mix, den man so seit Jahren nicht mehr gesehen hat und sogar etwas an die alten Teile von Resident Evil erinnert – nur stark entschleunigt und ohne Zombies, dafür aber mit Manifestationen von Geisteszuständen.

Es ist mal etwas anderes und das ist unglaublich erfrischend.

Für diesen Test wurde uns ein Muster zur Verfügung gestellt. Wir bedanken uns herzlich für die Gelegenheit.

0
Amazing
85100
Pros

Leveldesign

Protagonistin

Soundkulisse

Wendungen

Cons

Schlauchige Level

Animationen

Charaktertiefe

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